- gotische Malerei in Deutschland und Frankreich
- gotische Malerei in Deutschland und FrankreichIm Gefolge der altniederländischen Kunst löste sich gegen Ende der 1420-er Jahre - teilweise ziemlich abrupt - auch die deutsche spätgotische Malerei von der höfisch geprägten Stilauffassung um 1400. Wie bei dem in Hamburg tätigen Meister Francke, einem noch weitgehend dem »Schönen Stil« verpflichteten Künstler, spielten Nachwirkungen der - allerdings heute nur noch in der Buchillustration nachvollziehbaren - Malerei an den Fürstenhöfen Frankreichs eine gewichtige Rolle. Dies gilt insbesondere für den Magdalenen-Altar in Tiefenbronn bei Pforzheim, der nach der Inschrift 1432 - also im selben Jahr wie der Genter Altar Jan van Eycks - von Lucas Moser aus Weil der Stadt vollendet wurde. Allein schon die Anbringung einer solchen Künstlerinschrift, die zudem noch eine Klage auf den Niedergang der Künste enthält (»Schrei, Kunst, und klag dich sehr, dein begehrt jetzt niemand mehr, so o weh«), zeugt von einem neu gewonnenen künstlerischen Selbstbewusstsein, das schon auf die Epoche Albrecht Dürers weist.Ein ähnliches, als forscherisch zu bezeichnendes Interesse an dinglicher Vergegenwärtigung, verbunden mit einer eindringlichen Erfassung des Psychischen, findet sich in den Flügelgemälden des Wurzacher Altars (1437), der in der Regie des Ulmer Bildhauers Hans Multscher entstand, der möglicherweise sogar selbst als Maler der Tafeln infrage kommt. Neben Lucas Moser und Hans Multscher arbeitete in Süddeutschland als dritter bedeutender Vertreter einer an der Erfahrung der Wirklichkeit orientierten Kunst der in Basel ansässige Konrad Witz. Seine Figurenbildung war in besonderem Maße durch niederländische Vorbilder, vor allem durch die Kunst Jan van Eycks, geprägt. An seinem Hauptwerk, dem Heilspiegel-Altar, um 1435 für die Stiftskirche Sankt Leonhard in Basel geschaffen, waren Szenen und Gestalten des Alten Testaments neutestamentlichen gegenübergestellt, in denen sich die jeweilige Heilsverheißung erfüllt hatte.Von besonderer Schönheit und Kostbarkeit ist die leuchtende, transparente Farbigkeit in den Gemälden Stefan Lochners, in dessen Werk die Kölner Malerei des 15. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte. Seine Absicht, der zur Darstellung gebrachten Welt den Glanz des Paradieses zu verleihen, setzt ebenso wie die von ihm verwendeten Kompositionsformen eine Beschäftigung mit dem Genter Altar voraus. Die prachtvolle und zugleich sublime Farbwirkung und der hohe Grad an Sensibilität in der Kennzeichnung von Personen verweisen des Weiteren auf eine enge Beziehung Lochners zur westfälischen und rheinischen Malerei um 1400.Gegen 1460 setzte sich in Deutschland die »vergeistigte« Darstellungsweise Rogier van der Weydens (und anderer von ihm beeinflusster Maler wie Dieric Bouts) durch, von dessen für Sankt Columba in Köln geschaffenen Retabel eine große Wirkung ausging - auch unmittelbar auf die Kölner Malerei selbst, etwa den Meister des Marienlebens. Hauptvertreter derartiger Tendenzen im süddeutschen Raum waren Hans Pleydenwurff in Bamberg und Nürnberg, dessen Werkstatt Michael Wolgemut fortführte, Gabriel Mäleßkircher in München, Friedrich Herlin in Nördlingen, der Schottenmeister in Wien oder auch jener Mitarbeiter Hans Multschers, dem die Flügelgemälde des Retabels für Sterzing in Südtirol (1456-59) zu verdanken sind.Zutiefst von der Malerei Rogier van der Weydens war schließlich Martin Schongauer geprägt, der einzige dieser Generation, der seinem Vorbild als ebenbürtig bezeichnet werden darf. Von Schongauer, der sich um 1470 in Colmar niedergelassen hatte und dem der Humanist Jakob Wimpfeling in Bewunderung seiner Kunst den Beinamen »Schön« verlieh, sind allerdings nur wenige Gemälde erhalten. Nur mit Freskenzyklen südlich der Alpen kann man die Ausmalung der riesigen Westturmhalle des Münsters zu Breisach am Rhein vergleichen, deren Weltgerichtsszenen Schongauer unmittelbar vor seinem Tod (1491) vollendete. Eine der Hauptleistungen Schongauers lag in der Weiterentwicklung des Kupferstichs, der durch ihn dank differenzierter Gestaltungsmöglichkeiten, etwa der Verwendung der Kreuzschraffur, eine der Malerei gleichrangige Bedeutung erlangte. Konsequenterweise erfuhr nun auch die Handzeichnung eine Anerkennung als eigenständiges Bildmedium.In einem Atemzug mit Schongauer muss der am Mittelrhein tätige Hausbuchmeister genannt werden, der nach dem »Mittelalterlichen Hausbuch« auf Schloss Wolfegg seinen Notnamen erhalten hat. Sein »Gothaer Liebespaar« nimmt innerhalb der überlieferten altdeutschen Malerei wegen seines profanen Themas, der großformatigen Wiedergabe eines Liebespaares, eine Sonderstellung ein. In der intimen Beobachtung der Beziehung zwischen den beiden Gestalten wie auch in der Charakterisierung und Strichführung seiner Zeichnungen und Kaltnadelstiche verrät der Hausbuchmeister eine Sensiblität, die dem Werk Schongauers vergleichbar ist.Unter der Leitung Bernt Notkes, der nach Schulung in den Niederlanden in Lübeck und später zeitweise in Schweden tätig war, entstanden neben großen bildhauerischen Ensembles Totentanzfolgen, die ungewöhnlicherweise auf Leinwand ausgeführt wurden und von denen sich Reste in Reval erhalten haben. Sein im Zweiten Weltkrieg zerstörtes Tafelbild mit der Messe des heiligen Papstes Gregor (1504) zählte zu den herausragenden Schöpfungen der spätgotischen Malerei. Ein nicht minder vielseitig talentierter Künstler war Michael Pacher, der seine Werkstatt in Bruneck im Pustertal in Südtirol unterhielt. Von seiner Hand stammen offensichtlich sowohl Holzskulpturen als auch Gemälde, die an Flügelaltären miteinander vereint sind. Seine Bilder weisen zwar einen deutlichen Einfluss niederländischer Malerei auf und lassen in Einzelmotiven auch Anregungen von Kupferstichen des oberrheinischen Meisters mit dem Monogramm E.S. erkennen; ihre kühnen Raumperspektiven verdanken sie indessen der Vertrautheit mit Werken Donatellos, Uccellos und Mantegnas, die Pacher in Oberitalien gesehen haben dürfte. Sein erhaltenes Hauptwerk ist das Hochaltarretabel in Sankt Wolfgang im Salzkammergut; ausschließlich aus Gemälden besteht der Kirchenväter-Altar aus der Stiftskirche von Neustift bei Brixen (um 1482/83), dessen Malweise eine bildhauerische Auffassung verrät.Die Zentren der Malerei am Ausgang des Mittelalters waren in Deutschland Köln, Straßburg, Ulm und Nürnberg. In der leistungsfähigen Nürnberger Werkstatt Michael Wolgemuts, in der Albrecht Dürer seine Ausbildung erhielt, wurden Anfang der 1490-er Jahre auch die Druckstöcke für die Illustrationen der »Schedelschen Weltchronik« hergestellt, die mit rund 2000 Holzschnitten ausgestattet ist. In Ulm war an der Wende zum 16. Jahrhundert eine Reihe von Malern tätig, die wie Hans Schüchlin, Bartholomäus Zeitblom oder Martin Schaffner für Altäre Tafel- und Fassmalerei von guter Qualität beizusteuern vermochten, auch wenn von ihnen - anders als in der Epoche Multschers - wenig in die Zukunft Weisendes ausging. Straßburgs Bedeutung lässt sich nach den immensen Verlusten von Kunstwerken, die dem Bildersturm der Reformation zum Opfer fielen, einzig anhand einer größeren Anzahl von Glasgemälden ermessen, von denen viele für auswärtige Auftraggeber ausgeführt worden sind: 1477 hatten sich in Straßburg fünf Glasmaler mit ihren Ateliers zu einer Werkgemeinschaft zusammenschlossen, unter denen Peter Hemmel eine Führungsrolle zukam. Gegen 1500 gewann dann vor allem Augsburg an Bedeutung, das mit dem Schaffen Hans Burgkmairs eines der Zentren einer von Italien inspirierten Renaissance in Deutschland wurde. Der hauptsächlich in dieser reichen Kaufmannsstadt tätige Hans Holbein der Ältere, dessen gleichnamiger Sohn einer der bedeutendsten Bildnismaler der Dürer-Zeit werden sollte, öffnete sich dagegen nur bis zu einem gewissen Maße gegenüber den neuen Ideen.In Frankreich haben sich weit weniger spätmittelalterliche Tafelbilder erhalten als in Deutschland. Um eine Vorstellung von der einstigen Vielfalt an künstlerischen Leistungen zu bekommen, ist man daher vor allem auf den großen Bestand an Buchmalerei angewiesen. So zeichnen sich die Miniaturen der Handschrift des 1457 von König René I. von Neapel verfassten Romans »Cuer d'amour espris« durch eine fantasievolle Gestaltung und eine irreal wirkende Lichtinszenierung aus. Auch in Frankreich spielten Einflüsse der altniederländischen Malerei eine wesentliche Rolle: In der unmittelbaren Nachfolge Jan van Eycks steht der »Meister der Verkündigung von Aix«, Einwirkungen jüngerer niederländischer Malerei lassen sich in den Gewölbe- und Glasmalereien der von Jacques Cœur, dem größten Finanzier seiner Zeit, gestifteten Nordkapelle der Kathedrale Saint-Etienne von Bourges beobachten. Der bedeutendste französische Maler des 15. Jahrhunderts war Jean Fouquet, dessen Romreise sich in der Wiedergabe architektonischer Hintergründe und in einer zuweilen an Piero della Francesca erinnernden Formgebung widerspiegelt. Seine Madonna des Diptychons des Etienne Chevalier, die »Vierge de Melun« (um 1450), zeugt von einer bis dahin unbekannten Säkularisierung eines religiösen Themas: Maria scheint mit den Porträtzügen der Agnès Sorel, der Mätresse Karls VII., ausgestattet zu sein.Prof. Dr. Hartmut Krohm
Universal-Lexikon. 2012.